Himbeeren mit Senf (Bundesstart)

Vorführungen:

  • Sa, 29. April 2023 – So, 30. April 2023 um 15:00 Uhr

DARSTELLER: Leni Deschner, Jonas Kaufmann, Rocco, Luc Schiltz, Inge Maux, Ben Bernar, Sophie Zeniti, Anouk Wagener, Fabienne Elaine


FILMKRITIK:

Meeri hebt ab, und zwar gegen ihren Willen. Eine unsichtbare Kraft zieht der 13-Jährigen den Boden unter den Füßen weg. Erst sind es nur ein paar Zentimeter, aber wenn sie nicht aufpasst, schwebt sie irgendwann in den Wolken. Das hat, man ahnt es schon, mit einem Jungen zu tun. Er heißt Rocco und ist drei Jahre älter als Meeri. Sobald das Mädchen den Angebeteten auch nur von ferne sieht, verleihen die Gefühle ihr die sprichwörtlichen Flügel. Das ist wunderschön, aber auch ein bisschen peinlich. Denn jeder kann Meeri in die Höhe driften sehen, ihre beste Freundin Klara, ihr kleiner Bruder und theoretisch auch Rocco. Vor ihm wäre es Meeri am unheimlichsten, denn noch weiß sie nicht, ob ihre Gefühle erwidert werden.

Liebe und Tod liegen nah beieinander in dieser altersgerechten Komödie für Kinder ab zehn, denn Meeris Mutter ist vor nicht allzu langer Zeit gestorben und ihr Vater Ernst arbeitet als Leichenbestatter. Das hat zwar den Vorteil, dass Meeri ihre Briefe an die tote Mama heimlich in die offenen Särge der Aufgebahrten stecken kann, sozusagen als hauseigene Luftpost. Aber der Beruf des Vaters rührt auch an Tabus und Vorurteile, die sämtliche Familienmitglieder qua Sippenhaft zu Außenseitern stempeln. Vor allem Meeris Bruder bekommt dieses Mobbing zu spüren. Und das sind nicht die einzigen Probleme, mit denen sich die Geschwister herumschlagen müssen. Denn der leicht exzentrische Vater versucht verzweifelt, über Datingportale eine neue Frau zu finden – was vor allem bei Meeri auf heftige Gegenwehr stößt.

Es klingt ein wenig konstruiert, wenn Regisseurin Ruth Olshan und ihre Ko-Autorin Heike Fink über die lange Entstehungsgeschichte des Films sprechen. Olshan wollte mal etwas über ein Mädchen machen, was fliegen kann, und Fink kennt die soziale Ächtung von Bestatterfamilien aus Berichten eines Bekannten. Also warf man aus Paritätsgründen beide Ideen in einen Topf. Glücklicherweise ist im fertigen Film vom holzschnittartigen Entwurf nichts mehr zu spüren. In einer Art magischem Realismus paaren sich dokumentarische Erdung mit himmelwärts strebender Poesie. Das Motiv des Abhebens wird dabei nicht überfliegermäßig strapaziert, sondern dezent in die Flugbahn der Erzählung eingewoben – voller Romantik, aber zugleich mit einem komischen Touch und einem zwinkernden Auge.

Zum humorvoll-warmen Tonfall tragen vor allem die komplex ausgearbeiteten Nebenfiguren bei. Statt die Erwachsenen zu Karikaturen zu verkürzen, wozu das Genre des Kinderfilms eigentlich einlädt, dürfen sie bei Ruth Olshan und Heike Fink zu eigenwilligen, leicht verschrobenen, aber doch mehrdimensionalen Charakteren aufblühen. Damit passen sie gut ins Gesamtkonzept des originären Stoffes, der sich nicht mit Abenteuer und Heldenreise zufriedengibt, sondern seine Themen aus der realen Lebenswelt der jungen Zuschauer formt: Mobbing, Verlust und erste Liebe. Die unterhaltsame Verpackung sorgt dafür, dass das Ganze nicht ins Sozialdrama abdriftet, sondern mit pfiffigen Dialogen und verschmitztem Charme punktet.

Peter Gutting (Programmkino.de)